Dass die Kontaktaufnahme mit pflegebedürftigen Menschen anders verläuft als mit Hunden liegt auf der Hand. Doch wie können wir ihn richtig erreichen und auf die folgende Maßnahme vorbereiten? Möglichst auch noch so, dass dieser froh gestimmt ist und wenn auch nicht mitmacht, dann doch wenigstens nicht ablehnt? Perfekt wäre es natürlich auch noch, wenn dies keinen Mehraufwand in der Zeit oder Materialien kosten würde.
Wie geht das?
Um unsere schwerst behinderten Menschen herrscht meist ein reges Treiben: Geräusche, Bewegungen, Gerüche usw. Meist können komplex beeinträchtigte Menschen hier nicht unterscheiden, ob sie angesprochen werden oder nicht. Entsprechend überrascht kommen für sie sämtliche Berührungen, die teilweise auch noch schmerzhaft sind. Dies kann zu einem permanenten unterschwelligen Dauerstress führen. Eine ritualisierte Kontaktaufnahme mit Pflegebedürftigen soll Abhilfe schaffen, Respektvoll sein, Sicherheit und Vertrauen vermitteln.
Das Prinzip ist einfach
- anklopfen, mit Namen ansprechen
- ins Blickfeld treten
- Berührungsgeste durchführen
An die Zimmertüre wird zunächst geklopft – egal ob diese offen, angelehnt oder geschlossen ist. Dann wird über das Gehör als Fernsinn der Betroffene mit seinem Namen angesprochen. Dadurch wird sicher gestellt, dass sich dieser auch angesprochen fühlt. Er weiß, dass es um ihn geht und hat die Möglichkeit sich auf den Kontakt vorzubereiten. Empfehlenswert ist auch, den eigenen Namen jedes Mal wieder zu nennen – mindestens zu Beginn des Kontaktes wenn man nicht zur Familie gehört – um dem beeinträchtigen Menschen mehr Orientierung zu bieten.
Danach treten wir möglichst seitlich in sein Blickfeld (von vorne wird oft als bedrohlich empfunden). Nun hat der Pflegebedürftige die Möglichkeit uns zu erkennen, Blickkontakt aufzunehmen oder in irgendwelcher Weise zu reagieren. Dies ist für uns der Schlüssel um weiter zu agieren. Als letzten Schritt der Kontaktaufnahme mit Pflegebedürftigen führen wir die Berührungsgeste aus.
Die Berührungsgeste
Diese ist auch als Initialberührung oder Initialkontakt aus dem Konzept der Basalen Stimulation bekannt. Allerdings suggeriert das Wort Initialberührung, dass der Kontakt nur am Anfang stattfindet. Besser ist jedoch, diesen auch zwischenzeitlich und vor allem am Ende noch einmal durchzuführen. Daher ist der Begriff Berührungsgeste (nach Buchholz, Schürenberg 2003) treffender.
Wo findet der Kontaktaufnahme mit Pflegebedürftigen statt?
Das ist Geschmackssache. Allerdings müssen sich Pflegende, Pädagogen, Therapeuten usw. alle denselben Bereich wählen. Nahe Angehörige können auch eine andere individuelle Begrüßung wählen.
Bewegt sich die behinderte Person? Dann wäre dort, wo er eine Beziehung zur Umwelt aufnimmt ein geeigneter Ort.
Her er Gewohnheiten? Ist oder war er etwa ein großer Händeschüttler – dann können wir das gut übernehmen.
Ist der Betroffene eher bewegungsarm? So können wir davon ausgehen, dass er seinen Körper nicht mehr differenziert wahrnehmen kann (sein Körperbild ist habitualisiert). Da würde eine Berührung an der Hand höchstwahrscheinlich eher verwirren. Hier wäre eine zentrale Berührung am Körperstamm empfehlenswert.
Hat der Mensch mit Behinderung Atemprobleme? Dann lieber nicht auf dem Brustkorb, da dies die Atembewegung beeinflusst und als drückend empfunden wird.
Ist die betreffende Person weiblich und kein kleines Kind mehr? Da wird das Sternum zur Intimsphäre und die gut gemeinte Berührung eher eine schambehaftete Belästigung.
Für die meisten behinderten Personen ist daher die Schulter als zentrale Berührungsgeste perfekt geeignet: Der Patient dürfte den Kontakt gut spüren, da er nah am Körperstamm ist, jedoch keine Intimzone und auch nicht die Atmung beeinträchtigt. Auf-die-Schulter-klopfen ist im Alltag mitunter eine öffentliche Begrüßung und eine neutrale Stelle. Meistens ist die Schulter auch sauber von Speichel, Erbrochenem und Wunden. Doch welche Schulter? Da ist entscheidend, ob die betreffende Person eine Lieblingsseite hat, sie gerade auf einer Seite liegt oder zu mir hingewandt ist.
Qualität der Kontaktaufnahme bei Pflegebedürftigen
Wir sind die ganze Zeit über natürlich aufmerksam und auf den Menschen mit Behinderung bezogen. Das heißt, wir kümmern uns in erster Linie um ihn, erst danach um die Zugehörigen oder Therapeuten. Die Berührung ist annähernd, langsam und deutlich. Unsere Hand ist ohne Handschuh, sollte möglichst geruchsneutral (nicht direkt davor geraucht, desinfiziert oder eingecremt) und als Ganzes erlebbar sein (Finger als eine Fläche zusammen).
Die Berührungsgeste soll so lange wie ein normales Händeschütteln andauern, also bis diese deutlich wahrgenommen wurde – aber nicht zu lange.
Die Art der Berührung im Detail muss nicht immer sanft und vorsichtig sein. Vielmehr orientiert sich an dem, was der Patient jetzt benötigt und wird so jedes Mal aufs Neue individuell angewandt. Mehr über Berührungsqualität finden Sie hier: Anfassen kann jeder – Berühren ist eine Kunst!
Nutzen für den Pflegebedürftigen als Angebot
Die Berührung ist als Nahsinn sehr wichtig. Als Empfang für nonverbale Botschaften soll sie zur Umweltkontrolle Sicherheit-im-Beziehung-aufnehmen und Begegnungen-gestalten vermitteln, sowie Stress reduzieren. Durch die Berührungsgeste lernt der Betroffene, dass wir nur dann eine Handlung an ihm vornehmen, wenn er zuvor dort berührt wurde. So gewinnt er Sicherheit und kann sich entspannen. Entscheidend ist hierbei auch Ihre innere Absicht. Mehr dazu hier: Was für Absichten haben Sie?
Wie geht es dann weiter?
Der direkte Körperkontakt soll bei der nun folgenden Interaktion und Maßnahme weiterhin aufrecht erhalten werden, um den Betroffenen nicht zu verunsichern. Das heißt, dass ab jetzt für die gesamt Pflegemaßnahme, oder was auch immer ansteht, eine Hand (Unterarm oder Hüfte geht auch) am Gegenüber ist. Das braucht Übung und ist nicht ganz einfach!
Beim Unterbrechen des Kontakts geben wir dem Patient einen Gegenstand ganz bewusst, der für den Kontakt steht (etwa ein warmes Körnerkissen in die Hand). Hier nehmen wir den Kontakt dann auch wieder auf. All das begleiten wir natürlich verbal und sprechen auch dann noch weiter. So weiß die Person mit Behinderung, dass wir noch da sind.
Beenden der Kontaktaufnahme mit Pflegebedürftigen
Entweder beendet der Betroffen den Kontakt oder wir. Sollten wir den körperlichen Kontakt lösen müssen, so endet die Berührung genau so wie wir sie begonnen haben. An bekannter Stelle legen wir unsere Hand flächig und deutlich auf, das Ende der Aktivität wird verbal und im Blickfeld begleitet. Danach lösen wir unsere Hand langsam verabschiedend mit Worten begleitend und mit unserer vollen Aufmerksamkeit.
Für uns Pflegende ist das Ende der Pflegehandlung meistens klar, für die behinderten Menschen jedoch nur schwer begreiflich. Woher sollen sie auch wissen, wann Schluss ist? Eine nicht erfüllte Erwartungshaltung bedeutet wieder Stress und Unsicherheit. Daher sollte der Abschluss genau so erfahrbar gemacht werden.